Zum „Marsch für das Leben“ am Samstag, 19.09.2015 schrieb der Sprecher für Innen- und Religionspolitik in der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, ein erbetenes Grußwort, welches von unserem Mitglied im Kreisverband, Friedemann Gillert, in einem Schriftwechsel mit dem Büro von Volker Beck kritisch kommentiert wurde. Friedemann Gillert bat darum, diesen Meinungsaustausch wegen der gesellschaftlichen Bedeutung öffentlich zu machen.
Die Frage der Beliebigkeit gesellschaftlicher Verfügungsgewalt über das Leben im gesellschaftlichen Wandel wird nicht nur aus seiner Sicht immer drängender.
Tatsächlich gehen die zu klärenden Fragen weit über den Bereich der Abtreibungen hinaus:
- Darf „Nützlichkeit“ oder z.B. die Last einer Behinderung ungeborenen Lebens für die Eltern tatsächlich ein Kriterium für die Verfügung über das Leben sein?
- Darf die soziale Situation einer Mutter tatsächlich ausschlaggebend sein für die Verfügung über das ungeborene Leben?
Welche Verpflichtung erwächst aber aus der Erhaltung ungeborenen Lebens für die Gesellschaft? - Wo liegen die unverrückbaren ethischen Grenzen für die gesellschaftliche Verfügung über das Leben?
- Dürfen ökonomische Erwägungen Grundlage für die Entscheidung sein, welche medizinischen Behandlungen dem Patienten gewährt werden oder nicht?
Die Frage der Sterbehilfe wird aktuell im Bundestag diskutiert. Das zeigt auf, dass diese Debatte auch einen aktuellen Bezug hat. Daneben ist die Frage nicht unwichtig, mit wem man sich politisch verbündet.
Schreiben von Friedemann Gillert an das Büro Volker Beck:
„Lieber Volker,
danke, dass Du auf die Einladung geantwortet hast! Dein Grußwort ist öffentlich gemacht worden, deswegen möchte ich gerne mit Dir öffentlich diskutieren, wie wir Grünen mit Menschen umgehen, die Bedingungen schaffen wollen, das in Deutschland niemand mehr aus irgendwelchen äußeren Gründen ein Kind abtreiben muss. Diese Gesellschaft wäre reich genug dazu das zu schaffen.
Deine ersten drei Abschnitte gehen aus meiner Sicht in Vielem mit dem konform, was die Demonstranten wollen. In den Reden wurde nicht vereinfacht sondern differenziert die Probleme mit dem Schutz des menschlichen Lebens am Anfang, in der Mitte, z. B. als Flüchtling und am Ende des Lebens angesprochen. Einige Schlagworte habe ich notiert, die mit Beifall bedacht wurden:
„Töten ist keine ärztliche Kunst.“
„Inklusion statt Selektion“
„Es gibt kein gutes Töten, aber ein Recht auf Leben.“
Ich hatte das Glück, Dein Grußwort zu lesen und danach an dem Marsch teilzunehmen. Dadurch achtete ich ganz bewusst auf die Reden zu Beginn und die Plakate. Ein Plakat mit dem Wort „Genderwahn“ sah ich nicht, auch keine Aufrufe gegen homosexuell empfindende Menschen. Neonazis kann man ja nur erkennen, wenn sie sich entsprechend verkleiden oder benehmen. Solche konnte ich nicht erkennen. Auch Dein Vorurteil, das die Shoa durch Verwendung des anzüglichen Begriffes „Babycaust“ relativiert wird, bestätigte sich nicht.
Dein Wunsch lieber bei der Gegenkundgebung gewesen zu sein, erscheint mir jetzt wo ich das Ganze erlebt habe aber als extrem peinlich:
Die Menschen, die den Zug blockierten und an der Seite beschrien, skandierten u. a.„Nie wieder Deutschland“
„Wir sind die Perversen, wir sind Euch auf den Fersen“
„Deutschland ist Schleiße, Ihr seid die Beweise“
„Hätt Maria abgetrieben, wärt Ihr uns erspart geblieben“Das ist einerseits dumm, aber vor allem menschenverachtend, ehrabschneidend und unwürdig. Wenn sich die Linken damit abgeben, ist es schlimm genug.
Die Demonstranten wurden mit Farbbeuteln, Pferdekot und Eiern beworfen. Die Plakate waren neben normaler Meinungsäußerung aber teilweise so menschenverachtend, das ich sie nicht widergeben möchte. Zum Teil habe ich sie auch nicht verstanden, weil sie auf Englisch formuliert waren.
Mit freundlichem Gruß
Friedemann Gillert“
Die Antwort vom Büro Volker Beck:
„Lieber Friedemann Gillert,
vielen Dank für Deine E-Mail. Der „Marsch für das Leben“ und seine Teilnehmer*innen sind nicht unsere Bündnispartner, sie sind leider unsere Gegner*innen. Sie bekämpfen die Gleichstellung von Homosexuellen, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und eine Sexualaufklärung. Zudem würdigen sie zum Teil Homosexuelle zu Kranken herab. Mit einem Bündnis, das Beatrix von Storch & Co. in den ersten Reihen aufmarschieren lässt, gibt es keine Grundlage für eine Debatte, die Menschenrechte, Gleichheit oder Demokratie im Sinn hat. Und zu guter Letzt: Volker Beck macht sich beleidigende Sprechchöre der Gegenproteste nicht zu eigen. Und wenn Du von „menschenverachtenden Plakaten“ sprichst: Sorry, aber auf Schildern blutige Fotos von Abtreibungen zu zeigen und dabei von Mord zu sprechen, lässt wenig Achtung der Würde erkennen, die man einem abgetriebenen Embryo zuspricht .
Deshalb: Nein Danke. Der sogenannte „Marsch für das Leben“ muss erstmal intern klären, ob er die AfD als parlamentarischen Arm sehen möchte. So lange dort „Bildungsplangegner“ willkommen sind, gibt es keine Gesprächsgrundlage. „Es ist mehr als unsinnig, sich weniger Abtreibungen zu wünschen und gleichzeitig Aufklärungsunterricht aus den Lehrplänen streichen zu wollen“.
Dieses Bündnis muss sich erstmal von seinen Fundamentalisten befreien. Das ist nicht die Aufgabe von Volker Beck.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Brux
Büroleiter“
Antwort von Friedemann Gillert:
„Lieber Sebastian,
danke für die schnelle Reaktion!!
Bei dem „Marsch für das Leben“ gab es keine Schilder mit blutigen Fotos von Abtreibungen und auch keine Bezeichnungen von „Mord“. Ich hatte extra darauf geachtet. Natürlich kann ich nicht 100% sicher sein (bei zunächst 7 Tausend und zum Schluss 5 Tausend TeilnehmerInnen). War das früher so? Dann haben die Organisatoren wohl gelernt?
Zu Frau von Storch kann ich keine Aussagen machen, weil ich sie nicht persönlich kenne. Sie hat jedenfalls keine Reden geschwungen und den Marsch nicht mitbestimmt.
Mit freundlichem Gruß
Friedemann Gillert“
Friedemann Gillert gehört zu den Gründungsmitgliedern des bündnisgrünen Landesverbandes Brandenburg und ist in der Hospizbewegung stark engagiert. Fragen des Schutzes des Lebens gehört zu seinen politischen und persönlichen Schwerpunkten.
Wir freuen uns über ihre Kommentare.
Update:
Schreiben des Büros von Volker Beck:
Lieber Friedemann Gillert,
seit 2009 war ich mit einer Ausnahme bei jedem so genannten „Marsch für das Leben“. Sie müssen mir nichts über diese Veranstaltung erklären. Ich habe die selbstgemalten Papp-Schilder auch dieses Jahr gesehen, auf denen vom Mord gefaselt wird, neben blutigen Fotos. Und Frau von Storch hat auch in diesem Jahr die Demonstration, gemeinsam mit Herrn Lohmann am Frontbanner, angeführt.
Es bleibt deshalb dabei: Hier gibt es keine Grundlage für gemeinsame Bündnisse. Im Gegenteil.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Brux
Büroleiter
Antwort von Friedemann Gillert
Lieber Sebastian,
ich habe mir das Bild von Frau von Storch im Internet angesehen, und mich erinnert, das sie tatsächlich weitgehend in der ersten Reihe dabei war.
Sie ist aber nicht die Organisatorin und bestimmt den Marsch nicht wirklich mit. Parteizeichen wurden ausdrücklich untersagt. Ihre politischen Positionen sind nicht die meinen, sie hat sich jedenfalls die ganze Zeit anständig verhalten, hat nicht herumgebrüllt, keine unanständigen Transparente gezeigt, und nicht mit Unrat geworfen, im Gegensatz zu den Gegendemonstranten.
Mein Anliegen, eine öffentliche Diskussion mit Volker Beck zu führen, ist es jedoch nicht diese Person zu bewerten, sondern ich schäme mich, das Volker erwogen hat bei den Gegendemonstranten dabei zu sein.
Ich hatte mich gefreut, das in diesem Jahr keine Grünen zu den Gegendemonstrationen aufgerufen hatten.
Mit diesen Menschen sollten wir wirklich nicht gemeinsam auftreten.Mit freundlichem Gruß
Friedemann Gillert
Die Grünen haben lange (zum Teil auch erfolgreich) die Bürgerrechtsliberalen, die von dem rein wirtschaftspolitischem Kurs ihrer Heimatpartei enttäuschtw aren, für sich zu gewinnen. Die Grünen sind aber nicht liberal, das zeigt sich leider immer wieder im Verhalten und in den Äußerungen ihrer leitenden Vertrter. Der echte Liberale erträgt die ihm entgegen stehende Meinung, diskutiert, aber verunglimpft nicht, setzt nicht herab, beschimpft nicht. Als Pastor einer Freikirche ist mir die Trennung von Kirche und Staat ein hohes Gut. Wir brauchen aber auch eine Trennung von Ideologie, bzw. Weltanschauung und Staat. An dieser Einsicht magelt es meiner Ansicht den Grünen genaus so wie den sogenannten christlichen Kleinparteien.
Diskreditiert die Teilnahme bestimmter Personen das Anliegen der Demonstranten?
Ich habe den Eindruck, als hätte sich das Büro von Volker Beck etwas in der Pflege von Feindbildern verrannt. Es wäre begrüßenswert, wenn seitens des Büros von Volker Beck mehr über den Inhalt und weniger über die Verpackung diskutiert würde.