In der Bernauer Ausgabe der Märkischen Oderzeitung vom 12.04.2017 wurde über den Einspruch der Fraktion Bündnis90-Grüne/ Piraten in der Bernauer Stadtverordnetenversammlung bei der Barnimer Kommunalaufsicht gegen eine am 06.04.2017 beschlossene Bürgerbeteiligungssatzung berichtet. Dass es einen Einspruch geben werde, haben wir Stadtverordneten bereits in der Sitzung der SVV angekündigt.
Ja – die beschlossene Satzung mag bei Betroffenen durchaus populär sein. Wir vertreten aber die Auffassung, dass diese Satzung ganz klar gegen geltendes Recht verstößt, weil sich die SVV als Satzungsgeber einen Regelungsrahmen anmaßte, den sie nicht hat.
Kommunale Satzungen sind Rechtsetzungsakte, die sich konfliktfrei in das bestehende Gefüge an landes- und bundesrechtlichen Vorschriften einzufügen haben. In § 3 der Brandenburgischen Kommunalverfassung ist geregelt, dass Gemeinden ihre Angelegenheiten durch Satzung regeln können, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen.
Da der Straßenbau – und nur um den geht es in der Beschwerde – im Brandenburgischen Straßengesetz abschließend geregelt ist und das Gesetz in § 10 den Straßenbau als hoheitliche Aufgabe der Verwaltungsmitarbeiter definiert, ist für eine wie auch immer gelagerte kommunale Regelung kein Raum. Und schon gar nicht ist Raum für eine Bürgerentscheidung, da dies auf eine gesetzlich unzulässige Privatisierung hoheitlicher Aufgaben hinausliefe.
Im § 9 (1) Brandenburgischen Straßengesetzes ist definiert, dass die Träger der Straßenbaulast nach ihrer Leistungsfähigkeit die Straßen in einem den regelmäßigen Verkehrsbedürfnissen genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern, umzugestalten oder sonst zu verbessern haben. Dabei sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die Belange des Fußgänger-, Rad- und Behindertenverkehrs, des öffentlichen Personennahverkehrs, des Wirtschaftsverkehrs, des Umweltschutzes und der Stadtentwicklung sowie insbesondere der Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen, … angemessen zu berücksichtigen. Den Anforderungen und Bedürfnissen von Frauen und Männern jeden Alters ist beim Bau und der Unterhaltung von Straßen Rechnung zu tragen.
Der Wille der Anwohner ist in dieser abschließenden Aufzählung des Gesetzes nicht genannt. Geht der kommunale Satzungsgeber über diese abschließende Aufzählung hinaus, ist damit deswegen automatisch ein Verstoß gegen § 3 der Brandenburgischen Kommunalverfassung verbunden.
Zweitens sind nach den Bestimmungen der beschlossenen Satzung Mieter und sonstige Nutzer der Anliegerstraße von der Befragung ausgeschlossen. Damit handelt es sich eben gerade nicht – wie in der Überschrift suggeriert wird – um eine „Einwohnerbeteiligungssatzung“, sondern um eine „Betroffenenbeteiligungssatzung“.
Der in der Satzung definierte persönliche Geltungsbereich bewirkt den Effekt, dass auswärtig wohnende Immobilieneigner, die noch nicht einmal das Wahlrecht in Deutschland haben müssen, nur auf Grundlage ihrer Vermögensinteressen über das „ob“ eines beitragspflichtigen Ausbaus kommunaler Infrastruktur in Bernau entscheiden dürfen und die auf die Infrastruktur angewiesenen Mitbürger Bernaus oder die Stadtverordnetenversammlung als gewählte Vertretung der Bernauer Bürger dagegen nicht.
Mit dieser Regelung wird die Entscheidungsgewalt des Grundeigentums faktisch über die Entscheidungsgewalt der politischen Gremien und Einwohner Bernaus gestellt.
Damit geht der in der Satzung gesteckte Rahmen gleich in zweifacher Hinsicht und in unzulässiger Weise über den Rahmen des § 13 BbgKVerf hinaus, der die Beteiligung betroffener Einwohner an Entscheidungen in wichtigen kommunalen Angelegenheiten vorsieht, ihnen aber zum einen nicht die Entscheidung ganz überlässt und zum anderen nicht Ortsansässige von der Beteiligung ausschließt.
Die Überschreitung des gesteckten Rahmens aus § 13 BbgKVerf beinhaltet damit einen weiteren Verstoß gegen § 3 (1) BbgKVerf.
Der in der angegriffenen Satzung definierte persönliche Geltungsbereich kann zu rechtswidrigen Ergebnissen führen, wie zwei Fallgestaltungen aufzeigen:
- Einzelne z.B. mobilitätseingeschränkte oder aus anderen Gründen auf den Ausbau der Infrastruktur angewiesene Mitbürger müssten bei einem negativen Votum auf den Ausbau der Straßen verzichten, weil auswärtige Vermögensinteressen und/ oder die Vermögensinteressen anderer beitragspflichtiger Anlieger den berechtigten Ausbaubedürfnissen entgegenstehen…
- … oder es würden auch die Mieter einer auswärtigen Kapitalgesellschaft, deren Immobilien die Grundstücksmehrheit an einer Anliegerstraße bilden, vom guten Willen ihres Vermieters abhängig sein, anstatt vom hoheitlichen und dem Gemeinwohl orientierten pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung, weil die Verwaltung unzulässigerweise das pflichtgemäße Ermessen hoheitlicher Aufgaben privatisiert hat.
Wenn das Entscheidungsrecht beim Straßenbau auf betroffene Bürger übertragen werden soll, dann ist eine kommunale Satzung hierfür eindeutig der falsche Weg.
Dann hätte es auf Landesebene einer Initiative zur Änderung des Straßengesetzes bedurft. Ob diese Änderung am Ende sinnvoll ist oder nicht, soll hier gar nicht diskutiert werden. Der Weg über die kommunale Ebene ist aber ein populistischer Irrweg, der zu rechtswidrigen Ergebnissen führen muss und deswegen abzulehnen ist.
Die staatliche Verwaltung, zu der auch die SVV gehört, ist an Recht und Gesetz gebunden. Es geht daher bei der Wahrnehmung eines Mandates in erster Linie nicht darum, um jeden Preis Beifall heischend populäre Dinge am Gesetz vorbei in der SVV „durchzubringen“.
Sondern es geht darum, die Angelegenheiten der Kommune in rechtskonformer Art und Weise so zu regeln, dass ein möglichst großer Ausgleich aller widerstreitenden Interessen ermöglicht wird. Diese Aufgabe beinhaltet es auch, notfalls auch mal gegen Mehrheitsbeschlüsse der SVV vorzugehen, wenn sie nach der eigenen Überzeugung rechtswidrig sind, auch wenn das Vorgehen nicht populär sein mag.
Wer Interesse daran hat, inhaltlich die ganze Argumentation im Detail nachzuvollziehen, findet hier das Schreiben an die Kommunalaufsicht nebst Anlage in Gänze.
Thomas Dyhr,
12.04.2017
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